Evolutionäre Kunst: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 6. August 2014, 17:53 Uhr
Evolutionäre Kunst (genauer: Evolutionäre Bildende Kunst) ist eine Form der Generativen Kunst, bei der eine Simulation evolutionärer Prinzipien wie Population, Variation (Reproduktion durch Rekombination und Mutation) und Selektion angewendet wird, um visuelle Werke zu erzeugen und weiter zu entwickeln.
Evolutionäre Prinzipien lassen sich auf alle anderen Formen der Schönen Künste anwenden, sodass neben der Evolutionären Kunst entsprechende Genre entstehen wie Evolutionäre Musik.
Evolutionäre Kunst unterscheidet sich von Biokunst (Bioart) dadurch, dass bei Evolutionärer Kunst eine Simulation der Evolution als einem unter mehreren möglichen biologischen Prozessen durchgeführt wird, während bei der Biokunst allgemein biologische Prozesse realer Organismen oder Gewebe verwendet werden, um visuelle Werke zu produzieren. Hierbei können auch reale Evolutionsprozesse verwendet werden.
Evolutionäre Kunst wird faktisch immer mit Hilfe des Computers und eines Evolutionären Algorithmus durchgeführt, und wird daher als eine Form der digitalen Kunst betrachtet. Streng genommen ist die Verwendung eines Computers aber keine notwendige definitorische Eigenschaft, da die Simulation von Evolutionsprozessen visueller Werke auch mit z.B. Papier, Bleistift und einem Zufallsprozess (wie einem [Würfel]) durchgeführt werden könnte. Da auf diese Weise jedoch nur visuelle Werke geringer Komplexität und in geringer Anzahl in einem vertretbaren Zeitraum durch einen Künstler erzeugbar sind, wird der Computer als Hilfsmittel breit akzeptiert und eingesetzt.
Grundlage Evolutionärer Kunst ist wie bei allen Evolutionären Algorithmen eine Population aus Individuen, die hier jeweils eine visuelle Struktur repräsentiert. Diese Repräsentation kann entweder indirekt erfolgen, indem Individuen wie bei der Genetischen Programmierung jeweils ein Programm enthalten, das eine visuelle Struktur erzeugt, sodass hier die biologische Unterscheidung zwischen Genotyp und Phänotyp aufrecht erhalten bleibt. Die Repräsentation kann aber auch direkt sein, wie bei der Evolutionsstrategie, indem ein Individuum nur als Phänotyp betrachtet wird, auf dem evolutionäre Operationen angewendet werden. In diesem Fall enthält ein Individuum ein Bild, Zeichnung, Bewegtbild oder ähnliches im Sinne einer Bilddatei oder Videodatei.
Nahezu alle Anwendungen Evolutionärer Kunst, die indirekte Repräsentationen verwenden, erzeugen ungegenständliche visuelle Werke. Unabhängig ob direkte oder indirekte Repräsentation existieren nur wenige Ansätze zur gegenständlichen Evolutionären Kunst.
Bei dem Ablauf Evolutionärer Kunst, dem Evolutionären Kunstprozess, wird zunächst eine Startpopulation aus Individuen festgelegt. Bei einer indirekten Repräsentation werden wie beim Genetischen Programmieren üblich zufällige Programme und somit zufällige visuelle Strukturen erzeugt. Bei einer direkten Repräsentation werden meist nicht-zufällige visuelle Strukturen durch den Künstler ausgewählt, z.B. Bilder aus voran gegangenen Evolutionsläufen. Es folgt eine Reproduktionsphase, bei der die vorliegenden Individuen entsprechend einer Reproduktionsstrategie vermehrt werden, indem Rekombinations- und Mutationsoperationen auf die Repräsentationsstrukturen angewendet werden. Die Art dieser Operationen ist von der Art der Programme bzw. direkten visuellen Strukturen abhängig, so wie generell bei Evolutionären Algorithmen beispielsweise lineare und hierarchische Individuenstrukturen jeweils angepasste Rekombinations- und Mutationsoperationen erfordern. Teil der Reproduktionsstrategie ist die Art wie Individuen für eine Rekombination ausgewählt werden (Selektion zur Reproduktion). Orientiert sich die Reproduktionsstrategie an Genetischen Algorithmen, so müssen vorher Fitnesswerte für jedes Individuum vorliegen. Die Häufigkeit der Auswahl für eine Reproduktion ist eine streng monotone Funktion dieser Fitness, d.h. je höher die Fitness, desto größer die Wahrscheinlichkeit der Auswahl. Orientiert sich die Reproduktionsstrategie an Evolutionsstretegien, so erfolgt die Auswahl gleichverteilt zufällig. Nach der Reproduktionsphase ergibt sich eine Population von Nachkommen, für die jeweils ein Fitnesswert festgelegt werden muss, der in irgend einer Weise die Ästhetik der visuellen Strukturen reflektieren soll. Eine algorithmische Festlegung dieser Werte würde ein formales Ästhetikmodell erfordern, welches bei bisherigen Verfahren zur Evolutionären Kunst nicht oder nur in Ansätzen vorliegt. Daher beschränken sich algorithmische Verfahren auf die Ermittlung einfacher Eigenschaften der Bildanalyse und darauf basierender Modelle, wie z.B. entropiebasierte Modelle. Verbreitet ist die Festlegung der Fitness durch einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen (interaktive Evolution). Meist ist dies der Künstler, der die Bewertungen nach seine subjektiven ästhetischen Kriterien festlegt. Alternative Verfahren zur empirischen Schätzung der Fitness ist beispielsweise die Zeit, die ein Betrachter eine visuelle Struktur betrachtet, die ihm präsentiert wird. Es existieren zudem vorbewuste Verfahren, bei denen versucht wird, eine Korrelation zwischen physiologisch messbaren Eigenschaften eines Betrachters und seinen ästhetischen Bewertungen herzuleiten (z.B. Pupillenreaktionen). Die innovativsten Ansätze bietet hier die Neuroästhetik, bei der Gehirnregionen identifiziert werden, die an ästhetischen Bewertungen beteiligt sind, und bei der Korrelationen zwischen den Aktivitäten dieser Regionen und ästhetischen Bewertungen hergestellt werden sollen (analoge Verfahren wie das Neuromarketing). Da diese Ansätze jedoch komplexe und noch sehr teure Geräte zur medizinischen Bildgebung erfordern, beschränkt sich ihr Einsatz in der Evolutionären Kunst bislang auf vereinzelte kleine Studien. Besitzen Eltern wie Nachkommen jeweils einen Fitnesswert, so wird eine Selektionsstrategie angewendet, durch die ermittelt wird, welches Individuum in der nächsten Generation weiter existieren darf und sich möglicherweise reproduzieren wird. Diese Selektionsstrategie berücksichtigt entweder nur die Nachkommen oder die Vereinigungsmenge aus Eltern und Nachkommen. Greift im Weiteren kein Abbruchkriterium, wie das Erreichen einer vorher festgelegten maximalen Anzahl von Generationen, so wird die nächste Iteration des Evolutionären Kunstprozesses mit einer neuen Reproduktionsphase gestartet.